Warum Ulrike Herrmanns Inspiration vom „Kapitalismus ohne Markt“ (vgl. Herrmanns Artikel in Südwind-Magazin 7-8/2019) nicht stimmig ist. Von Ulrich Brand
Ulrike Herrmann argumentiert in ihrem spannenden Artikel im Südwind-Magazin ganz richtig, dass dem Wachstumszwang nicht so leicht zu entkommen sei. Herrmann meint, dass angesichts des drohenden ökologischen Kollapses die Wirtschaften drastisch schrumpfen müssten, es im Einzelnen Ansätze gebe wie den Ausbau erneuerbarer Energien, Reduktion des Fleischkonsums oder biologische Landwirtschaft.
Doch es fehle eine „Brücke vom Kapitalismus zur Postwachstumsökonomie“. Unter gegebenen Bedingungen würde Postwachstum zu „chaotischem Schrumpfen“ führen, nicht zu einer besseren Welt.
Ein erstes Problem der Ökonomin Herrmann liegt darin, dass sie das (kapitalistisch getriebene) Wirtschaftswachstum selbst fetischisiert. Ohne ein solches: Krise, Horror, die Rechtsextremen machen die Demokratie kaputt.
Das ist mir nicht plausibel. Warum sind Gewinne (ein mikroökonomischer Sachverhalt) identisch mit Wachstum (einer makroökonomischen Größe)? Wir wissen etwa aus der langen Stagnationsphase in Japan seit den 1990er Jahren, dass die Firmen dennoch Gewinne erzielen.
Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er ist Mitorganisator der Internationalen Degrowth-Konferenz, die zu Pfingsten 2020 in Wien stattfindet:
Denn Gewinne werden gemacht, weil die Vorprodukte günstig eingekauft (oft unter schlechten sozialen und ökologischen Standards produziert) oder die Beschäftigten schlecht bezahlt werden, weil das Unternehmen technologisch produktiver ist als die Konkurrenz oder weil die Produkte relativ teuer verkauft werden können.
Wir müssen also über Macht sprechen, die hinter dem Wachstumsversprechen stehen. Wirtschaftswachstum kann unter bestimmten Bedingungen zu Stabilität führen. Aber nicht per se.
Nutzen statt Profit. Der Kommentar von Herrmann gehört zudem in die Kategorie des berühmt gewordenen Ausdrucks, der dem US-amerikanischen Literaturwissenschaftler Fredric Jameson zugeschrieben wird. „Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.“
Denn Herrmann sieht als mögliches historisches Vorbild – mit Verweis auf die britische Kriegswirtschaft von 1940 bis 1945 – einen „Kapitalismus ohne Markt“. Kapitalismus, Privatinvestition und Profite müssen es schon sein. Vielleicht an der einen oder anderen Stelle staatlich reguliert.
Da widerspreche ich: Eine entwickelte Postwachstums-Ökonomie, die ein gutes Leben für alle ermöglicht und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht zerstört, ist ziemlich sicher post-kapitalistisch. Es wird weiterhin bei kleineren und mittleren Betrieben durchaus Privateigentum an Produktionsmitteln und Gewinne geben. Aber die systemrelevanten Unternehmen werden in öffentlichem, genossenschaftlichem oder Stiftungsbesitz sein.
Das Motiv ist der Gebrauchswert von Gütern und Dienstleistungen: hoher Nutzen statt Profit, Langlebigkeit, nicht auf Kosten anderer produziert, die natürlichen Lebensgrundlagen erhaltend. Und dieser möglichst hohe Gebrauchswert wird öffentlich ausgehandelt, kann sich historisch verändern. Gutes Kommunizieren im Jahr 2030 heißt wahrscheinlich etwas anderes als 2060.
Markt ohne Kapitalismus. Es wäre ein Zugewinn für die Demokratie, wenn Menschen sich – in unterschiedlichen Formen – dafür engagieren könnten, was wie wo und unter welchen Bedingungen produziert wird. Denn das bestimmt ganz wesentlich ihre Arbeits- und Lebensbedingungen und den Zustand der Umwelt.
Daher plädiere ich eher für einen „Markt ohne Kapitalismus“, insbesondere für eine Entwertung des im Überfluss bei den Vermögenden und bei Investmentfonds angehäuften Kapitals. Das wird mit erheblichen Konflikten einhergehen. Und auch mit Krisen, vor allem der wirklich Reichen, die ja meist auch politisch einflussreich sind.
Die „Brücke“ in die Postwachstumsgesellschaft muss in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Lernprozessen ganz praktisch errichtet werden.
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